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Aus den Tagebüchern des Goran Fejor - Teil 1

13. Normiah 1132, Angos
Endlich ist es mir gelungen! Die langen Jahre in Angos haben sich ausgezahlt.
Barun Bugd Vradarash, der Cagaan, vertraut mir. Gestern hat er mich zu sich rufen lassen. In den fünf Jahren, die ich bei ihm war, hätte ich ihm immer treu gedient, meinte er. Dank meiner Hilfe konnten sie mehrere menschliche Spione entlarven. Ich soll ihn zum Usar-Karkal begleiten.
Der Usar-Karkal ist ein wichtiges Ereignis der Zhubair. Wie ich herausgefunden habe, findet es meist vor großen Veränderungen statt. Der letzte war vor 12 Jahren, danach fand der große Angriff auf die Dalré statt. Aber wir alle wissen wie er ausgegangen ist.
Der damalige Usardash war ein Idiot. Er hat zu überstürzt und ohne Plan angegriffen und viele Familien völlig umsonst in den Tod geschickt.

Bei den Fäusten Ceweins! Was rede ich!!
Die Zhubair sind meine FEINDE! Das darf ich nie vergessen! Ich lebe schon zu lange unter ihnen! Werde ich denn meine Frau jemals wiedersehen?

25. Normiah 1132, Angos
Heute geht es los! Der Tross ist schon auf dem Weg. Ich reise direkt mit dem Stab zusammen. Alle sind aufgeregt und brennen darauf, den Usardash Naiomron Thirklyiyk zu sehen und zu hören. Fast niemand von uns hat jemals die Feste Bajanzadgad gesehen, aber wir alle haben von ihr gehört. Wenn ich sie sehe, werde ich so viele Zeichnungen wie möglich machen, vielleicht können sie uns später helfen.

26. Normiah 1132, Ebene vor Angos
Es ist unglaublich, wie lang solch ein großer Trupp braucht, um vorwärts zu kommen. Überall wird uns zugejubelt, ich hoffe es geht schneller, wenn wir die Dörfer hinter uns haben. Ich brenne darauf, meinem Ziel näher zu kommen, denn ich spüre, dass ich ihm tatsächlich näher bin als jemals zuvor; auch wenn ich noch nicht weiß, was meine Bestimmung ist, wie Amarton mein Leben auf seine Schicksalswaage gelegt hat.
Ich muss mich vorsehen, dass meine Gefühle nicht so deutlich zu erkennen sind, ich befürchte, dass mir der Hass ins Gesicht geschrieben steht. Ich darf nicht versagen. All die Opfer, all die Toten, aber ich hatte ja keine Wahl.

35. Normiah 1132, Eiswindpass
Wir sind gut vorangekommen, der Eiswindpass ist in Sicht. Alle Gefühle kommen wieder hoch:
Hier hatte ich sie zum letzten Mal gesehen, bevor sie sie durch das Tor verschleppten. Tagelang irrte ich verzweifelt umher, versuchte einen anderen Weg zu finden, aber es gibt keinen. Der Weg südwärts durch die Kaial Anga ist zu gefährlich, nicht mal die Zhubair würden ihn wagen. Ich kann mich gut an die Zeit meiner Gefangenschaft erinnern, die meinen Hass nur noch mehr geschürt hat, bis ich den Sohn des Vradarash im Zweikampf tötete. Doch anstatt mich zu töten nahm er mich mit zu sich, Anfangs als Spielzeug. Doch ich verstellte mich gut und half ihm, denn er war meine Chance auf Rache, das begriff ich recht schnell.

8. Ganian 1132, Eiswindpass
Wir sind im Pass. Schon hier merkt man den großen Temperaturunterschied, und dann auch noch diese Trockenheit.
Die Felsen um uns herum werden immer höher. Wie habe ich das vor 16 – bei allen Göttern, ist es schon so lange her!? – Jahren nur geschafft, hier hindurch bis zur Feste vorzudringen? Die Männer und Frauen im Tross leiden genauso wie ich unter den Temperaturen, dabei steht uns das Schlimmste ja noch bevor.

9. Ganian 1132, Eiswindpass
Vorhin war Vradarash bei mir. Er hat mir nochmal die Verhaltensweisen in Bajanzadgad erklärt. „Glaube nur nicht, dass wir in Angos wild und grausam sind. Gegen das, was Dich in Bajanzadgad erwartet, hast Du in Angos nur zahme Weichlinge kennengelernt. Denke immer an die Regeln, die ich Dir beigebracht habe.“
Als könnte ich die vergessen! Eigentlich gibt es nur eine: Wenn Dir jemand dumm kommt, töte ihn gleich. Ist er stärker als du, töte ihn heimtückisch.

6. Annar 1132, östlich des Eiswindpasses
Endlich sind wir durch. Ich konnte nicht schreiben, weil meine Tinte gefroren war. Außerdem waren wir alle ständig zusammen, um einander zu wärmen. Dieser Gestank! Ich hasse ihn!
Aber die Tage werden nun milder und ich konnte mich heute waschen. Ein kleiner Fluss hat mir den Dreck und den Gestank vom Körper gewaschen. Ich habe das Gefühl, er hat auch meine Seele gereinigt. Die Zhubair haben mich nur recht erstaunt angeschaut und auch die Menschen, die mit uns unterwegs sind, waren verwundert, dass man den vor der Kälte schützenden Dreck abwäscht. Aber mir war das egal, ich habe mich gefühlt wie einer von Ihnen. Ich muss mir immer ins Gedächtnis rufen, was sie mir angetan haben, dann kann ich das alles leichter ertragen.

Einige von uns sind krank geworden. Sie sind blass und bekommen eigenartige Flecken im Gesicht. Die Kranken werden abgesondert und müssen dem Tross in einigen hundert Schritt Abstand folgen. Ich finde, eine weise Entscheidung. Wer weiß, welcher Fluch uns getroffen hat?

8. Annar 638, Zhuch
Vor uns liegt es, das Land meiner Feinde, der Feinde aller Menschen.
So schön hatte ich es mir nicht vorgestellt. Wir haben jetzt die meisten Berge im Rücken und kommen wieder schneller voran und der Anblick, der sich uns bietet, ist überwältigend. So weit das Auge reicht nur Bäume und Flüsse und Seen.
Was kann ein Volk nur dazu bewegen, dieses wunderschöne und fruchtbare Land zu verlassen und sich die Mühe zu machen, seine Nachbarn in den kargen Wüsten zu überfallen?

Immer mehr Leute werden krank. Die Haare fallen ihnen aus und sie müssen sich häufig erbrechen; einige sind gestorben und ihre Leichen wurden verbrannt.

13. Annar 1132, Ebene hinter dem Eiswindpass
Ich habe mich getäuscht, dies ist kein Paradies. Irgendetwas stimmt nicht mit diesem Land. Es ist krank. Ein eigenartiger Geruch geht von den Wäldern aus.
Auch ich fühle mich nicht gut, insgesamt sind schon über 60 Zhubair und Menschen gestorben.

Nachmittags:
Vorhin kam uns eine Abordnung Berittener entgegen, die mit unserem Cagaan gesprochen haben. Er hat mir gezeigt, dass er mir vertraut, ich durfte dabei sein – als einziger Mensch.
Es ist tatsächlich so. Das Land ist krank. Die Früchte der Bäume sind nicht genießbar, das Wasser der Seen und Flüsse ist vergiftet. Deshalb auch die Kranken und Toten. Man hat uns gewarnt, hier kein Wasser zu schöpfen und kein Tier zu jagen. Aber wir haben Hunger und Durst. In wenigen Tagen würde es besser werden, sagen sie.
Die Stimmung ist schlecht.

19. Annar 1132, Irgendwo im Wald von Gulurdyn
Wir haben heute wieder 12 Mann verbrannt, die Frauen scheinen widerstandsfähiger gegen diese seltsame Krankheit zu sein.
Mir geht es auch nicht gut, meine Haare fallen mir büschelweise aus, aber dieses dunkle Gefühl lässt nach. Unsere Führer sagen, dass wir bald zu einer sauberen Quelle kommen.

27. Annar 1132, immer noch irgendwo im Wald von Gulurdyn
Es wird besser, die letzten drei Tage ist niemand gestorben, mir geht es auch besser, nachdem ich schweres Fieber hatte. Eine der Frauen des Cagaan hat sich um mich gekümmert. Ich habe zwar keine Haare mehr, aber ich lebe. Ich bin ihm dankbar dafür, denn so kann ich meine Rache vielleicht doch noch ausführen.
Ich habe mit einigen Ulaichan gesprochen, die ihr Lager an der Straße aufgeschlagen hatten. Sie sagten, auch von Ihnen seien viele gestorben. Auf meine Frage ob sie vielleicht eine Erklärung hätten, sagten sie, dass der Bahtaij-Bagk gespuckt hätte und Tage später dreckiger Regen vom Himmel fiel, aber das sei schon zwei Jahre her. Und seitdem seien die Ernten schlecht und das Wild verschwunden. Sie wären wohl auch verhungert, wären sie selbst nicht auch weniger geworden.
Ich habe Vradarash danach befragt und er sagt der Bahtaij-Bagk sei der Seelenberg, der alle paar Jahre seinem Unmut Luft macht. Er sei von der Seele Zhuchbahtaijs besessen und wenn dem großen Gott nicht durch Blut gehuldigt würde, nähme er grausame Rache am Volk der Zhubair. Vielleicht wird deswegen das Usar-Karkal einberufen.
Langsam beginne ich zu verstehen...

20. Inanna 1132, Ebene von Kragk
Die Stimmung ist wesenlich besser geworden, es gibt wieder regelmäßig Trinkwasser.
Viele aus unserer Gruppe sind gestorben, ich habe zum Glück überlebt, auch wenn mich mein eigener Anblick erschüttert. Ich habe eine Glatze und mein ganzer Körper ist von rotem Geflecht verunstaltet. Wer weiß, ob ich nicht doch noch sterbe, doch vorher habe ich noch etwas zu erledigen.

Wenn wir das derzeitige Tempo beibehalten, werden wir in etwa zwei Monaten Bajanzadgad erreichen.
Viele der Dörfer, durch die wir kommen, sind verwaist, der Geruch von Elend und Tod ist allgegenwärtig. Was ist nur passiert? War das wirklich nur der Bahtaij-Bagk, oder ist diese Land verflucht?
Was werden die Zhubair angesichts dieser Lage tun? Ich fürchte um die Menschen. Ein hungriges Volk ist ein gefährliches Volk, gerade wenn dieses Volk die Zhubair sind.
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