Das Schwert wird geschmiedet
"[...]Und Shenôr führte Ansha'ar zu den höchsten Gipfeln des Murtaf al-Ifaras und stieg mit ihm in finstre Grotten
und Schlünde hinab, vorbei an funkelnden Adern von Metallen und leuchtenden Gemmen. Doch Shenôr würdigte all diese
Schätze keines Blickes und trieb Ansha'ar immer weiter in immer tiefere und finstere Abgründe, bis sie schließlich
an die feurigen Pforten Al-Dinas kamen, die kein Lebender durchschreiten darf, doch Shenôr sprach ‚Ich zähle schon
lange nicht mehr zur Welt der Lebenden und Du wirst Dich zu den Unsterblichen erheben, denn bald wirst du unermeßliche
Macht erlangen und Tod und Leben werden Dir bedeutungslos scheinen.' So durchschritten sie also die Glühenden Tore
und die Geister der feurigen Tiefen wichen angstvoll vor ihnen zurück
[...]
Und sie kamen an einen See aus glühender Magma und Shenôr trug Ansha'ar hindurch bis sie auf eine schwimmende Insel
aus festem tiefschwarzem Metall gelangten. Shenôr aber sprach: ‚Hier sind wir also. Dies ist der Stoff, den mich die
Alten erschaffen ließen und durch den ich ihnen den Untergang bescherte. Denn ich haßte sie und sie machten den
Fehler, mir nach der langen Zeit endlich zu vertrauen. So schuf ich ihnen also einen Stoff von großer Macht, doch
mein eingewebter Zauber machte sie krank und sie siechten in rasender Geschwindigkeit dahin und schufen so Platz für
meinen Traum von einem neuen Anfang in einer Neuen Welt für die versklavten Völker! Doch nun ist erneut eine Zeit
gekommen, die da große Macht benötigt und Du sollst diese Macht in den Händen tragen. Nimm davon, soviel Du nur
tragen kannst und erlange die Unsterblichkeit!'
Und Ansha'ar griff mit beiden Händen in die glühend heiße Schwärze und er schrie und heulte vor Schmerzen und seine
Hände färbten sich rußschwarz, doch er klammerte sich mit eisernem Willen an einen groben Klumpen und er keuchte
unter diesem Gewicht und sein Körper ging in Flammen auf. Doch Shenôr fuhr mit ihm in einem höllischen Brausen empor
ans Licht.
[...]
Und Ansha'ar, dessen Körper nunmehr nichts als eine verkohlte Masse war, bediente sich der Macht Shenôrs und nahm
den Klumpen und schmiedete daraus eine mächtige zwei Schritt lange Klinge und er fügte noch die Essenz von Sturmwind
und Eis und Sternenlicht hinzu und die nachtschwarze Klinge erstrahlte in silbernem Glanze. Und er nahm zwei
mächtige, golden leuchtende, rundgeschliffene Kristalle, in denen Mut und Kraft wohnten und er tat sie an den Griff.
Und er nahm einen weiteren Kristall, der von tiefer schwarzer Farbe war und der den Stolz in sich trug und diesen
Kristall tat er an den Knauf. Dann ließ Ansha'ar noch mächtige Zauber in die Klinge fließen und es erstrahlten auf
beiden Seiten der Klinge magische Zeichen in glühendem Rot. Und Ansha'ar sprach: ‚Es ist vollbracht: Die mächtigste
Klinge der Welt!' Und Shenôr sah das Werk Ansha'ars und er war zufrieden.
[...]
Und Ansha'ar nahm das Schwert und die Macht durchströmte ihn und der Schwarze Stein des Stolzes entwickelte seine
Kräfte und Ansha'ars Körper erlangte seine gesunde Form zurück und erstarkte und sein Stolz wurde genährt. So sprach
Ansha'ar: ‚Siehe, ich habe die Macht, denn ich trage dieses Schwert und ich habe es erschaffen, so bin ich Herrscher
über die Macht dieses Schwertes. Nichts kann mich aufhalten; so werde ich ausziehen und mir die Welt untertan machen,
denn ich habe die Macht.'
Und so zog er aus und kam alsbald nach Shayiq an den Hof des Imperators und dort wütete er und niemand konnte ihn
aufhalten und so wurde der gesamte Hofstaat des Imperators niedergemetzelt. Ansha'ar aber schaute strahlenden
Blickes auf sein Werk und es war ihm nicht genug, so ging er genährt vom Stolze in die verhaßte Stadt und wütete gar
fürchterlich unter ihren Bewohnern.
[...]
Shenôr sah mit Entsetzen das Treiben Ansha'ars und stellte sich ihm entgegen. Also sprach Shenôr: ‚Laß ab, oh
Verlorener, von diesem Treiben. Du wirst genährt vom Stolze, Deinem eigenen und dem in dem Stein! Merkest Du nicht,
was Du anrichtest?' Doch Ansha'ar entgegnete: ‚Hebe Dich hinfort, Geist der Vergangenheit! Ich habe keinen Bedarf an
Deinen Ratschlägen. Du bist schwach und strebst nach einem Reich des Friedens, was ist dies anderes als Schwäche?
Nun habe ich die Macht, Du hast sie mir überlassen. Verschwinde und kümmere Dich nicht um Angelegenheiten der
wahrhaft Mächtigen!'
‚Niemals werde ich zulassen, daß du die Macht mißbrauchst!' jaulte Shenôr voll des Grimms und griff Ansha'ar
wutentbrannt an. Doch waren seine Kräfte von der Erschaffung des Schwertes noch geschwächt und die kraftvollen Hiebe
Ansha'ars setzten ihm schwer zu. So floh Shenôr durch die Straßen der entvölkerten Stadt und Ansha'ar folgte ihm
erbarmungslos und hinter den beiden Kämpfern sanken die Ruinen der strahlenden Paläste darnieder.
Schließlich hatte Ansha'ar den Shenôr gestellt und hieb unbarmherzig auf ihn ein. Doch Shenôr wehrte sich nicht mehr
und sparach: ‚So sei es also, töte mich nun, Verfluchter.'
Und Ansha'ar zögerte nicht lange und bohrte dem Shenôr das Schwert in den Leib. Shenôr hauchte sein Leben aus, doch
sein Geist floß in den schwarzen Stein des Stolzes am Knauf des Schwertes und er vertrieb den Stolz daraus und der
Stein färbte sich ebenso golden wie die beiden Steine des Mutes und der Kraft. Und der Geist Shenôrs sprach: ‚Siehe,
Verlorener, der Stolz ist aus dem Schwert vertrieben und es gehorcht meinem Willen. Deshalb soll dieses Schwert
Ajng-Shenôr genannt werden, Der Wille Shenôrs. Und nur der soll dieses Schwert führen, der reinen Herzens ist
und der das Gute will. Du bist nicht würdig, diese Macht zu besitzen und ich werde mich ewig grämen für meinen
Irrtum. Doch dereinst wird jemand kommen, der sich als würdig erweisen wird!'
Doch Ansha'ar entgegnete: ‚Was erdreistest Du Dich, Vermessener? Ich habe das Schwert geschaffen und es gehorcht
meiner Macht, wie auch Du von nun an meiner Macht gehorchen wirst!' Und er zog das Schwert aus Shenôrs totem Körper,
doch kaum hatte er dies getan, wurde ihm das Schwert unerträglich schwer und der keuchte vor Astrengung. Und sein
Körper verlor wieder an Kraft und er erlangte seine alte verbrannte Form zurück. Und Ansha'ar taumelte kraftlos und
voller Schmerzen zurück und er schrie: ‚Ich verfluche Dich, der Du mein Schwert entweiht hast. Wer dies Schwert
führt, soll auf ewig ruhelos umherwandern und möge niemals Frieden erlangen, es sei denn, er gibt das Schwert auf.
So sei dafür gesorgt, daß Dein schwächlicher Traum vom Frieden niemals Wahrheit werde!'
[...]
Diese Zeilen fanden imperiale Gelehrte später beim Durchsuchen der zerstörten Stadt mit Blut an die Mauer eines
Palastes geschrieben. Am Boden fanden sie lediglich die verkohlte Leiche eines Mannes. Von einem Schwert fehlte
jede Spur."
Fragment aus einem Palast einer namenlosen Ruinenstadt
im Hochland von Al-Daht (Untergegangenes Reich Shahimar),
Datiert auf etwa 800 v. L.
Anmerkungen:
Die tlitlatlischen Eroberer des Westens zeigen wenig Interesse an der untergegangenen Kultur und der Geschichte
Shahimars, so daß sich bislang nur wenige Forscher in die Ruinenstädte begeben haben und nur wenige Aufzeichnungen
Bekanntheit erlangt haben.
Wenig ist bekannt über die in dem Fragment erwähnten Personen. Ansha'ar taucht in keinen bisher bekannten
Aufzeichnungen auf. Der Name Shenôr wird dagegen häufiger erwähnt. Dabei scheint es sich offenbar um eine Art weisen
Ratgeber mit göttlichen Eigenschaften zu handeln, der bereits in den frühesten Berichten Erwähnung findet. Allerdings
kommt er in Texten, die jünger als 800 v. L. sind, nicht mehr vor.
Das Schwert Ajng-Shenôr taucht in späteren Aufzeichnungen als "Ansh-nor" wieder auf. Aber dies ist eine andere
Geschichte und soll ein anderes mal erzählt werden...
(me)
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