Ustros Geburt und Jugend
Der Lomer Nationalheld Ustro ist unbekannter Herkunft. Der Legende nach entsprang er der Verbindung des antiken
Meeresgottes Niir mit einer badenden Fischerstochter. Seine Geburt soll sich etwa 340 v. L. auf irgend einer Klippe
während eines brausenden Sturmes ereignet haben. Während seiner Geburt wurde seine Mutter von einem Wellenbrecher
von ihrer Klippe gefegt und versank im Meer. Im Wasser wurden Mutter und Kind von einem riesigen Kockindrill
verschlungen. Doch der göttergleiche Ustro war schon als Säugling mit immensen Kräften ausgestattet und er zerriß
den Leib des Kockindrills von innen heraus und schwamm mit dessen Leichnam und seiner Mutter, die diesen Angriff
ebenfalls nicht überlebt hatte, an Land.
Ustro war an der kargen und felsigen Küste Tamens gelandet, wo weit und breit kein Mensch lebte. Er trank das Blut
des Kockindrills und nährte sich von seinem Fleisch. Der wenige Stunden alte Ustro wanderte nun die trostlose Küste
entlang und lebte mit den Tieren der Küste. Er erlernte die Sprache der Möwen, ging mit den Liradi auf Fischfang und
schloß sich einem Rudel Fischeraffen an. Aufgrund seiner ungeheuren Kraft und seines Listenreichtums war er bereits
im Alter von vier Jahren voll anerkanntes Mitglied der Gruppe im Status eines Leitaffen. Er nahm sich besonders des
ausgestoßenen verwaisten Jungtieres Haiim an, der ihm für den Rest seines Lebens ein treuer Begleiter war.
Ustro wuchs zu einem kräftigen Jüngling heran, der sich aber zunehmend darüber klar wurde, daß er nicht zu den Affen
gehörte. Als Ustro etwa zwölf Jahre alt war wurde sein Rudel von einem Rudel feindlicher Affen überfallen. Ustro und
Haiim wurden brutal ihres Umfeldes entwurzelt und wanderten nun ziellos an der Küste entlang.
Ustro bei den Menschen
Nach einigen Wochen der Wanderschaft erreichten die beiden schließlich eines frühen morgens ein Dorf der Menschen.
Als Ustro vorsichtig um einen Felsen herumspähte erblickte er das in seinen Augen schönste Wesen, das ihm jemals
begegnete: Ein etwa zehnjähriges Mädchen ging mit einem Krug zum Brunnen und Ustro stockte beim Anblick ihrer
anmutigen Bewegungen der Atem und die Knie wurden ihm weich. Er trat aus seinem Versteck hervor, aber das Mädchen
ergriff beim Anblick dieses nackten, verdreckten und verlausten Fremdlings schreiend die Flucht. Aus verständlichen
Gründen fehlte Ustro der Mut, sich dem Mädchen erneut zu nähern. So trieb er sich mehrere Monate lang heimlich in
der Umgebung des Dorfes herum und beobachtete die dort ansässigen Menschen und vor allem das Mädchen. Allmählich
lernte er durch Beobachtung die Sprache der Menschen und ihre Sitten und Gebräuche kennen. Der Affe Haiim
überbrachte dem Mädchen öfter Geschenke Ustros, wie zum Beispiel einen besonders großen Fisch oder frisches Obst.
Zu jener Zeit tobte gerade der erste Zhubairkrieg an der esperischen Ostküste und die Bewohner der Halbinsel Tamen
wehrten sich erbittert gegen die anbrandende Flut der Zhubair. Das besagte Dorf lag an der Steilküste irgendwo
südlich von Luan und war von recht geringem strategischen Interesse und war deshalb bisher vom Krieg weitgehend
verschont geblieben.
Auf seinen Streifzügen ins Hinterland erblickte Ustro eines Tages eine Hundertschaft Zhubair. Obwohl er noch nie
Zhubair gesehen hatte bestanden bei Ustro über die Absichten dieser Wesen keinerlei Zweifel und er rannte so schnell
er konnte ins Dorf um die Menschen zu warnen. Da er keine Worte hatte, das eben gesehene zu beschreiben, behalf er
sich mit Gesten und wildem Gebrüll. Die Dorfbewohner lachten ihn aus und bewarfen ihn mit Abfall, just in dem
Augenblick als ein johlender Haufen Zhubair sich auf die wehrlosen Dorfbewohner stürzte. Im folgenden Kampf tötete
Ustro etwa zwei Dutzend Zhubair nur mit seinen bloßen Händen, aber trotzdem wurde das Dorf dem Erdboden gleichgemacht.
Ustro schnappte sich das Mädchen und flüchtete mit ihr und Haiim auf ein Fischerboot. Die wasserscheuen Zhubair
machten keine Anstalten, dem Boot zu folgen.
Das Mädchen, das sich als Genki vorstellte, war zwar dankbar für die Rettung aber trotzdem ängstlich bei Ustros
Anblick. Sie war es, die ihm seinen Namen verlieh: Us Troo („wilder Affe”).
Unschlüssig darüber, was nun geschehen sollte, blieb man erst einmal auf dem Wasser und Ustro betätigte sich als
Fischer. Eine Gruppe Liradi zog das Boot schließlich auf die andere Seite des Golfs von Gal. Genki hatte
mittlerweile genug von der primitiven und ungehobelten Art Ustros und war heilfroh, nicht mehr in seiner Nähe sein
zu müssen. Ustro verstand dies natürlich überhaupt nicht und bemühte sein Werben um das Mädchen um so mehr, was
Genki dementsprechend als noch aufdringlicher und abstoßender empfand. In Gal angekommen wurde Genki als
Küchenmädchen in einer Taverne angestellt. Der ungeschickte Ustro wurde nach einer Stunde Arbeit fortgejagt...
Todunglücklich trieb sich Ustro in der Nähe der Taverne herum und versuchte einige Blicke auf Genki zu erhaschen.
Ustro als Dieb
Ohne eine Ahnung von der Bedeutung des Geldes oder von Recht und Unrecht geriet er schnell in die Fänge einer Bande
Ganoven, die den anscheinend etwas dümmlichen aber äußerst geschickten und kräftigen Ustro gehörig für ihre Zwecke
ausnutzen konnten. Er arbeitete für diese Leute als Einbrecher, Dieb und Schläger. Haiim war ihm bei diesem „Gewerbe”
eine große Hilfe. Einige seiner Beutestücke ließ er Genki durch den Affen überbringen.
Es sollte volle zwei Jahre dauern, bis ihm beim Anblick einer öffentlichen Hinrichtung endlich klar wurde, daß er
unrecht gehandelt hatte. Von diesem Tage an weigerte er sich strikt auch nur irgend etwas zu berühren, ohne nicht
vorher um Erlaubnis gefragt zu haben. Ehrlich wie er war, ging er sofort zu den zuständigen Behörden und verriet die
Machenschaften seiner „Freunde”, die auch prompt verhaftet und hingerichtet wurden.
Ustro bei der Armee
Mittlerweile fünfzehn Jahre alt war Ustro zur stattlichen Größe von über zwei Schritt herangewachsen. Sein über und
über mit Muskeln bepackter Körper behielt trotzdem seine ursprüngliche Geschmeidigkeit bei. Auf solch einen Burschen
wurden die Werber der Galomländer Armee natürlich schnell aufmerksam. Berichte vom weiteren Vordringen der Zhubair,
die seine geliebte Genki heimatlos gemacht hatten taten ihr Übriges und Ustro meldete sich freiwillig.
Wie über sämtliche Lebensabschnitte Ustros gibt es auch über seine Zeit bei der Armee Dutzende von abendfüllenden
Opern und Theaterstücken und noch mehr Schwänke und Anekdoten, die allesamt von den Heldentaten Ustros erzählen,
dieses etwas dümmlich erscheinenden Riesen, der aber unbeabsichtigt immer genau das richtige tut und so zu einem
großen Helden aufsteigt. Besonders beliebt sind die Geschichten „Wie Ustro alleine 10 000 Zhubair vertrieb”, „Die
Rettung der Stadt Mesel” und „Ustro erschlägt den Cagaan mit einem Baum”.
Besonders herausstechend an Ustros Verhalten waren seine Fähigkeiten, zu jeder Zeit Wasser zu finden und durch
bestimmte Pfeiftöne den Wind lenken zu können. Schnell erlangte Ustro große Bekanntheit sowohl in der Armee
Galomlands als auch bei den Zhubair, die ihn ehrfürchtig „Zhingaij-Mandtukh” (=Dämon im Menschenkörper) nannten.
Trotz allem waren es einfach zu viele Zhubair, um endgültig vertrieben zu werden, wenn auch einige bedeutende Siege
errungen werden konnten.
Als Ustro etwa 20 Jahre alt war, geriet er mit seiner Einheit in einen Hinterhalt. All seine Kameraden wurden
gnadenlos niedergemetzelt und die Zhubair schafften es tatsächlich – wenn auch nur mit Mühe und Not – Ustro
gefangenzunehmen und zu fesseln.
Ustro und Haleg Gay
Die Zhubair beabsichtigten, Ustro in ihr Heimatland zu bringen und beim Fest des Zhuchbahtaij zu opfern. Das Regiment
der Zhubair befand sich gerade auf dem Wege zur Regenklamm, als es überraschend von einem fremden Hühnen, der überaus
geschickt ein riesiges Schwert schwang, angegriffen. Die Zhubair ergriffen winselnd und voller Panik die Flucht und
ließen Ustro zurück.
Nach seinem Namen und der merkwürdigen Reaktion der Zhubair gefragt, antwortete der Fremde: „Früher nannte man mich
einmal Haleg Gay und die Zhubair haben allen Grund, meine Person zu fürchten.“
Weiter ist in diesem Teil Espers nichts über die Vergangenheit Haleg Gays bekannt. Haleg Gay wurde zu Ustros
Lehrmeister, zog mit ihm durch die Wildnis der Steppen und Wälder Südnebrinns, durch das Tvarengebirge und die
Karansümpfe und belehrte ihn über das Wesen der Welt, brachte ihm Philosophie und die Kunst des Meditierens bei.
Aus dem ungeschlachten, leicht dümmlichen und groben Ustro wurde nach und nach ein weiser und gereifter Mann.
Die einsiedlerische Reise Ustros und Haleg Gays dauerte ganze zehn Jahre. Obwohl sich das Wesen Ustros in dieser
Zeit grundlegend geändert hatte, vergaß er doch nie seinen Haß auf die Zhubair, den er zugegebenerweise mit Haleg Gay
gemein hatte. Außerdem konnte er nicht seine Liebe zu Genki vergessen, obwohl Haleg Gay sein Bestes tat, ihm diese
Dummheit auszureden.
Und so kam eines Tages der Moment, an dem Haleg Gay ...
[Fortsetzung folgt]
(me)
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