Seefahrer
ca. 600-638 n.L.
Als ein Fremder in den Ländern des Kontinents
und gleichzeitig seiner Erinnerungen an die Zeiten in seiner Heimat bis auf vage Traumbilder beraubt, lebt Nanthal
Gin'Vesfözs schon seit Jahren in den Ländern der Menschen und ist voller Unrast auf der Suche nach seiner Bestimmung.
Immergleiche Bruchstücke seines vormaligen Lebens zeichnen in seinen Träumen ein ihm unbehagliches Bild von den Tagen,
bevor man ihn, seiner Kleidung beraubt, aus einem Graben in Nebrinn vor dem Ertrinken rettete. Diese Bilder zeichnen
ein diffuses Bild von gezwungener Ehe, Liebe, Leidenschaft, mächtigen iadnischen Schiffen und Schlachten zur See, sowie
dem Versagen in wichtiger Aufgabe - dennoch hat bis vor Kurzem keines dieser Bilder in ihm für Klarheit sorgen können;
einzig für bedrückende Unruhe, schließlich ist Unwissenheit ein spannungsgeladener Wiederspruch zur sprichwörtlichen
Neugier der Echsenwesen.
Klarheit, was seine Erinnerungen angeht, herrscht in ihm erst wieder ab dem Zeitpunkt, als ihn eine Gruppe von
Abenteurern auffand und vor dem nahenden Ertrinken bewahrte.
Von dort an begann der Weg, den ihn die Neugier an der Seite dieser Abenteurer vorantrieb. Weiter und weiter hielt
ihn seine Neugier an, mehr und mehr über die Welt des Kontinents in Erfahrung zu bringen. Auf den zahllosen Reisen an
der Seite dieser Gruppe, lernte er von den Menschen, erhielt von den Schergen der mabedianischen Kirche eine
Branntmarkung, die ihn als verbannt aus Nebrinn kennzeichnet (welche er als Auszeichnung verstand) und gelangte sogar
in die Jahrzehnte verschlossene Stadt Elíanor unter dem Meer. Wenn man überhaupt von einem Wandel bei Nanthal
Gin'Vesfözs sprechen kann, da er ja keine Erinnerungen an seine Heimat besaß, so war doch bald der Wandel von einem
arroganten Echsenwesen zu einem weniger arroganten Forscher und Entdecker abgeschlossen. Ihm strebt danach, die
Akpotwesen verstehen zu lernen.
Bald jedoch sollte sich schon wieder eine Änderung anbahnen. Als Galeerensklaven verschachert, fand sich der Iadner
mit den anderen Gebranntmarkten auf einem Schiff wieder, das zur See stach. Bei einer Meuterei ergriffen sie die
Gelegenheit, sich als Anführer der Meute zu etablieren. Als Iadner vermeintlich in der Seefahrt bewandert, ernannte
ihn die Mannschaft zum Kapitän, und er zeigte schnell das den Iadnern nachgesagte Talent für die Künste der Seefahrt.
Schon nach wenigen Kaperfahrten stellte sich bereits eine kleine Flotte zusammen, deren Operationsbasis der iadnische
Kapitän in einer kleinen Bucht im Osten der Parassee ausbauen ließ. Von hier aus ließ sich eine geraume Zeit ungestört
kapern und reichlich Beute einfahren. Spätestens nach der erfolgreichen Versenkung zweier Kriegsnendrassen der
nebrinner Marine war die Legende des "Blauen Kaperers" und seiner furchtlosen Mannschaft in der Region gefestigt und
es gab kaum eine Hafenspelunke, in der sie nicht erzählt wurde.
Alsbald führte allerdings eine Ladung die kleine Flotte weit gen Süden an den Karansümpfen vorbei durch die Totensee
nach Nen'ya - dorthin, wo der alte Gefährte Nanthals, Grangos, zum Herzog geworden war. Dort erlag die Flotte einer
Unzahl von Schiffbrüchen, aufgequollene Bohnensäcke brachten den Kiel des Flaggschiffes zum Bersten und Nanthal wurde
zu einem gestrandeten Kapitän, fortan eher eine Nebenfigur der reisenden Gruppe.
Hernach ausgesandt im Dienste des Herzoges durchforschte er mit den anderen Reisenden die weiten Steppen im Westen
Nen'yas und machte Bekanntschaft mit den Dalré in einer eintönigen, bisweilen trancefördernd wenig bewachsenen
Umgebung. Bis der Weg zurück nach Nen'ya führte, lichtete sich ein wenig das Dunkel in seinen Erinnerungen, eine
bedrückende Geschichte, die ihn so manche Nächte erhitzt erwachen ließ.
Seine Träume zeigten einen jungen Nanthal, der schon in jungen Jahren einer politischen Zwangsheirat folgen mußte.
Durch ein Unglück verlor seine Loptociec Nigiont bei einem Scharmützel gegen die Lathan das Leben, offenbar kam
der junge Nanthal ihr in einer bedrohlichen Situation nicht zur Hilfe, was ihren Tod besiegelte, ebenso wie den
Verlust eines Auges seines Nemaciecs Rinjit. Daraufhin schwor ihm Rinjit Rache. Lange Zeit nicht darum wissend, was
die rotierenden und in ihm Panik erzeugenden Gut-Faldepa zu bedeuten hätten, die ihm in seinen Träumen erschienen,
lüftete sich erst nach der Rückkehr aus den Steppen das Geheimnis: Nanthal hatte seine große Liebe gefunden, Rilinat,
die er alsbald mit in die Ehe nahm, welche ein tragisches Ende finden sollte. Bei einem Schauwerfen an Bord seines
Schiffes, hatte ihm der rachsüchtige Rinjit eine Falle gestellt - ein von Nanthal geschleudertes Gut-Faldep spaltete
der hinter dem Ziel befindlichen Rilinat den Schädel. Ein haßverzerrt grinsender einäugiger Rinjit und die
verzweifelten Selbstvorwürfe Nanthals ließen ihn daraufhin über die Reling flüchten.
Diese Erkenntnisse veränderten über Nacht den Seefahrer, dem mit einem Schlag seine Begleiter nicht mehr so bedeutend
waren wie die Rückkehr in die Heimat und ein stets brennender werdendes Gefühl: Er würde Rache nehmen und die letzten
Teile des Puzzles suchen, die in seiner Erinnerung noch immer fehlen.
Doch die Suche nach der Wahrheit sollte er niemals vollenden können. In den Strudel der Kämpfe gegen die anbrandenen
Horden der Tiham'aia gezogen wurde er von einer Meute Tinojads heftig attackiert und zerfleischt. Nur noch als
Schwerverletzter, geschüttelt von wilden Fieberträumen, in denen jegliche Erinnerung an seine Heimat allmählich
verblasste, begleitete er seine Gefährten. Dämonische Kräfte schotteten seinen Geist ab, bis schließlich nicht
einmal mehr die traumwandlerischen Geschicke seiner Gefährten Shorn Chatskill und Jerron Serrelind zu ihm dringen
konnten.
In einer Herberge des Städtchens Iqa'a fanden seine Gefährten schließlich nur noch seine leblose kalte Hülle vor, im
Tode grau geworden. Mutmaßlich wurde sein Geist von einer nebligen Sarha'al geraubt. Von Trauer ergriffen legten ihn
seine Gefährten mit seinen Habseligkeiten in einen Nachen, den sie anzündeten und aufs Meer hinaustreiben ließen.
Doch dies sollte nicht das letzte mal gewesen sein, dass sie Nanthal Gin'Vesfözs zu Gesicht bekamen: In der Dämonenschlacht
von Suroc kam er - mit abgetrenntem Schwanz - auf einem Kodlu an der Spitze unheimlicher Erscheinungen angeritten, mit
leeren Augenhöhlen, todesgrauer Haut und stacheldurchstoßenem Brustkorb. Die geflügelten Reiter der Göttin Zi'sulda
gingen seinen Trupp an, die Göttin selbst schnappte er sich und hielt sie in tödlicher Umklammerung fest. Seinem
ehemaligen Gefährten Jerron Serrelind gelang es, die Göttin zu befreien und ein anderer ehemaliger Gefährte, Shorn Chatskill,
schlug dem Wiedergänger schließlich den Kopf ab. So bleibt zu hoffen, dass nach diesem seinen zweiten Tod auch seine Seele
endlich die Ruhe und den Frieden fand, welche er zu Lebzeiten gesucht hatte.
(nn)
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