Die Geschichte des Mabedianertums
Die Entwicklung zum Mabedianertum
Nach der Schöpfung entwickelten sich die Menschen nur langsam zu
vernunftbegabten Wesen. Sie wußten nicht woher sie kamen und warum sie
überhaupt existierten. Verschiedene Menschenvölker beteten verschiedene Götzen
an, mit denen sie bestimmte Naturerscheinungen und ihnen unergründliche
Phänomene zu erklären versuchten. So lebten sie dann unwissend und geleitet von
falschen Vorstellungen. Sie lebten in ihrer kleinlichen, von Neid und Mißgunst
bestimmten Welt und stritten sich, welcher ihrer Götzen der wahre Gott sein
sollte.
Nebra und Kath
Auf dem wüstenhaften Kontinent Solin lebten zwei Brüder, Nebra und Kath, mit
ihren Familien, die ein kärgliches Dasein als Ziegenhirten in der Wüste
fristeten. Da hörte eines Nachts Nebra eine rätselhafte mächtige Stimme. Sie
trug ihm auf, für sich und seine Familie ein Schiff zu bauen. Das Ende dieses
Landes sei gekommen. Er, Mabed, der Schöpfer, werde sie in ein neues, besseres
Land im Westen führen. Als Nebra seinem Bruder von seiner Vision erzählte,
lachte ihn dieser zunächst aus, änderte dann aber seine Meinung als er in der
folgenden Nacht die gleiche Vision hatte. Mabed erzählte ihm vom Untergang
dieses Landes, vom neuen Land im Westen und zeigte ihm anhand des
Sternenhimmels die Zahl des zukünftigen Volkes im neuen Reich. Als Zeichen
dafür, daß es sich auch wirklich um das versprochene Land handeln würde, soll
Kath dort blaue Rosen finden. Derart überzeugt machten sich die beiden Brüder
daran, den göttlichen Auftrag auszuführen.
Die Solier hatten als Wüstenvolk keine Ahnung vom Schiffbau, Nebra und Kath
schafften es aber, zwei Schiffe zu konstruieren, in denen insgesamt 1000
Menschen Platz fanden.
In einem mächtigen Erdbeben gingen dann große Teile des Kontinents Solin in
jenem Ozean unter, der seitdem der Solische Ozean genannt wird. Vom Wüstenvolk
Nebras und Kaths überlebten nur diejenigen, die sich in den Schiffen befanden.
Nach 70 Tagen des Treibens auf dem Meer erreichten die beiden Schiffe den neuen
Kontinent. Kaths Schiff landete in der Gegend von Harlan. Die Menschen fanden
dort blaue Rosen, wußten, daß dies das verheißene Land war und priesen Mabed.
Nebras Schiff landete in der Gegend von Tarlin. Auch sie fanden dort blaue
Rosen. Allerdings hatten sie den Tod Nebras, der auf der Überfahrt starb, zu
beklagen. Das Grab Nebras befindet sich im Tarliner Tempel des Mabed, der aus
den Planken des Schiffes gebaut wurde.
Die Menschen gründeten die zwei Reiche Nebrinn und Kathal, verehrten Mabed als
ihren Retter und lebten in Frieden.
Die Jahre der Verblendung und die 17 Propheten
Nach der Gründung des Kathalischen Imperiums wendeten sich die Menschen mehr
und mehr von Mabed ab. Der Name Mabeds wurde zwar weiter in Ehren gehalten, als
formloser Schöpfer, der sich nicht in den weiteren Verlauf der Welt einmischt.
Aus sämtlichen anderen Wesenszügen Mabeds, dem Leben und dem Tod, der Liebe und
dem Haß, dem Frieden und dem Krieg, der Sonne und den Monden, dem Licht und der
Dunkelheit, dem Himmel, der Erde, dem Wasser, der Weisheit, den Träumen, der
Zeit, dem Schicksal und vielen anderen Äußerungen Seiner Macht entstanden
verschiedenste Götter, die nach und nach mehr Verehrung fanden.
Diese „Unterteilung” Mabeds in verschiedene Götter ist gar nicht einmal so
falsch, denn es zeigten sich mitunter jene „Götter” (also Verkörperungen von
Wesenszügen Mabeds) auf Esper.
In diesen 2000 „Jahren der Verblendung”, wie sie von mabedianischen Gelehrten
genannt werden - erschienen immer wieder Propheten – es waren genau 17 – die
den Untergang der Götter und den Anbruch eines neuen glanzvollen Reiches des
Friedens vorhersagten.
Ilaime, die voller Liebe leuchtende
Nach der Auflösung der ersten nebrinner Republik 108 v.L. und der Gründung des
Kaiserreiches wurde das Land von größenwahnsinnigen, überheblichen Despoten
beherrscht, die sich selbst als Manifestationen der Götter anbeten ließen. Das
Land war mit Kriegen der Fürsten gegeneinander überzogen. Es herrschte
größtenteils Anarchie und Dekadenz.
Eines Nachts im Jahre 1 v.L. hatte die dun-maurasche Bauerstochter Ilaime eine
seltsame Erscheinung. Sie fühlte sich von einem warmen, freundlichen Licht
durchflutet und verspürte dabei unsägliche Freude und Wonne. Dabei hörte sie
eine sanfte Stimme, die beruhigend auf sie einredete und erzählte, die Zeit der
Erlösung sei nahe. Kurz später stellte Ilaime fest, daß sie schwanger war. Sie
war zu diesem Zeitpunkt noch nicht verheiratet und zudem noch Jungfrau. Ihre
Eltern verheirateten sie schleunigst mit dem Bauern Jocei, einem ungehobelten
Burschen, der Ilaime demütigte und mißhandelte. Über die wahren Umstände, die
zu ihrer Schwangerschaft geführt hatten, verlor sie kein Wort, um nicht als
verrückt zu gelten.
Den Sohn, den sie schließlich gebar, nannte sie Lethian (nach letha = erlösen)
in Erinnerung an die Worte der Lichtgestalt. Jocei wußte von Anfang an, daß
dieses Kind nicht sein eigenes war und wollte es nicht als seinen Sohn
anerkennen. Damals hätte er das Recht gehabt, ein nicht von ihm anerkanntes
Kind seiner Frau umzubringen. Genau das hatte er auch vor, aber als er den
kleinen Lethian in den Händen hielt und ihn ansah, wurde er von ihm bis dahin
völlig unbekannten Gefühlen wie Liebe und Zuneigung durchströmt und er ließ von
seinem finsteren Vorhaben ab. Von diesem Moment an wandelte sich der grobe
Jocei zu einem sanften, liebevollen Mann, der zu allen Menschen freundlich war
und niemandem mehr ein Haar krümmte.
Dies war das erste Wunder Lethians, dem noch viele weitere folgen sollten, die
aber alle aufzuzählen hier nicht genügend Platz ist.
Lethian Mabedhin Taradan:
Der Erlöser, Sohn Mabeds und Herr der Menschheit
Lethian verlebte eine unbeschwerte Kindheit. Behütet von der Liebe seiner
Mutter und der Magd Matais, aus deren Feder der erste Teil der Biographie
Lethians im Narmai stammt, war er stets fröhlich und allen Lebewesen gegenüber
freundlich eingestellt. In seiner Umgebung herrschte stets die gleiche
unerklärliche freudige Stimmung.
Jocei wurde zu einem wohlhabenden Bauern und Ilaime schenkte ihm noch zwei
Kinder: Seon und Jowana.
Lethian wuchs zu einem hübschen intelligenten Knaben heran. Mit zunehmendem
Alter wuchs auch seine Kritik an den vorherrschenden Zuständen. Dies hatte zur
Folge, daß er nun nicht mehr überall jene wundersame Freude um sich herum
verbreitete, sondern vor allem bei Lehrern, Priestern und anderen
Autoritätspersonen gefürchtet war, vor allem wegen seines geschliffenen
Wortwitzes und seiner bestechenden Logik, die im Widerspruch zur
althergebrachten Ordnung stand. In seinen jugendlichen Streitgesprächen (Buch
Matais, Kapitel 3) stritt er vor allem die Existenz mehrerer Götter ab und er
bestritt ebenso die Richtigkeit einer Einteilung der Menschen in Stände und die
Notwendigkeit einer diktatorischen, von Unterdrückung und Terror beherrschten
Herrschaftsform, die angeblich zum Schutz des Volkes vor sich selbst so
existieren sollte. Er machte nie aus seiner Meinung einen Hehl, weshalb er im
Laufe der Zeit begann, gewissen Leuten in der Regierung lästig zu werden.
Zusammen mit seinem Bruder Seon baute Lethian in Dun Maura ein florierendes
Handelsunternehmen auf. Mit ihrem kleinen Vermögen bauten die Brüder eine
Untergrundbewegung auf, die das ungerechte System stürzen sollte.
Lethian, der geniale Redner, rief die Bevölkerung Dun Mauras zum passiven
Widerstand auf. Dabei betonte er besonders die Gewaltlosigkeit. Kein Feind
sollte bei diesem Aufstand, der zudem noch in der mysteriösen Stadt des
Friedens stattfinden sollte, getötet werden.
„Unterdrückt nicht die, die Euch unterdrücken, quält nicht die, die Euch quälen,
oder ihr seid nicht besser als sie.
Tötet und ihr werdet getötet werden. Aber liebt und ihr werdet geliebt werden.
Kommt in Frieden und ihr werdet in Frieden aufgenommen.” (Matais 5, 190-193)
Leider bewahrheitete sich diese Rede nicht, jedenfalls nicht so, wie man
gedacht hatte: 200 der friedlichen passiven Widerständler wurden von den
Soldaten des Grafen von Dun niedergemetzelt. Erst als Lethian dazwischen ging,
schmolz jegliche Feindseligkeit wie durch ein Wunder dahin.
Lethian und Seon wurden als Rädelsführer des Aufstandes festgenommen und zu
lebenslanger Zwangsarbeit in den Lerner Bleiminen verurteilt.
Das erste Blutvergießen seit Anbeginn der Zeit auf dun-mauraschem Boden sollte
nicht ungesühnt bleiben. Der Graf von Dun und die Soldaten, die an dem Massaker
beteiligt gewesen waren, starben ein paar Jahre später an einer rätselhaften
Seuche. Hatten sich die Worte Lethians (“... tötet und ihr werdet getötet
werden ...”) am Ende doch, zwar etwas anders als gedacht, bewahrheitet?
Lethian erlangt die Erkenntnis
Lethian wußte natürlich nichts davon. Hatte er zwar zuvor die Existenz vieler
Götter angezweifelt und alles auf eine übermächtige Kraft zurückgeführt, hatte
er noch nicht die Wahrheit erkannt. Er wußte nichts über seine Herkunft, nichts
über die Umstände seiner Zeugung.
Als er in die Gefangenschaft geschickt wurde, zweifelte er sogar an dieser
einen übermächtigen Kraft und glaubte, die Menschen seien auf der Welt völlig
auf sich alleine gestellt und hätten von irgendwelchen Göttern keinerlei Hilfe
zu erwarten. Er zweifelte sogar an seinen Plänen, auf friedlichem Wege zu einer
Änderung der Umstände zu gelangen. Der wahre Weg solle nur über Kampf und
Gewalt zum Ziel führen. Sein Bruder Seon beschwor ihn erfolglos, nicht von
seinen alten Prinzipien abzulassen. Lethian wurde immer griesgrämiger,
verbitterter und verzweifelter.
Im zweiten Jahr seiner Gefangenschaft, Lethian war 27 Jahre alt, übermannte ihn
schließlich seine aufgestaute Aggressivität und er erdrosselte den
Wärtersklaven Jonai, der ihn zuvor auf das demütigste gequält hatte.
Gleich nach dem Mord fühlte Lethian tiefe Reue und Verzweiflung, fiel in tiefe
Umnachtung und er hatte das Erlebnis, das ihn über seine wahre Herkunft und
Bestimmung aufklärte, ihn wieder auf seinen alten Weg zurückführte und einen
entscheidenden Wendepunkt in seinem Leben bedeutete: In seiner Bewußtlosigkeit
hörte er zum ersten mal die Stimme Mabeds, die von nun an öfter zu ihm sprechen
sollte.
„Zweifle nicht an Mir, mein Sohn, wie andere vor Dir gezweifelt haben. Die Zeit
ist angebrochen, da niemand mehr zweifeln muß. Die Menschen sollen erkennen,
was sie nicht erkennen konnten. Seid gewahr: Ich bin da. Wenn Ihr Mich geschaut
habt, wird Euch Euer irdisches Dasein zu gering erscheinen und Ihr werdet
verstehen; deshalb zweifelt aber nicht. Gehe hin, mein Sohn, und verkünde den
Menschen Meine Worte; hilf denen, die Wahrheit zu schauen, die die Wahrheit
nicht schauen konnten. Denn Ich bin der Herr, Mabed, der durch das Wort
erschafft.” (Jonai 2, 28-34)
Dann zeigte Mabed seinem Sohn alles: Die Schöpfung seit Anbeginn der Zeit mit
all ihren Parallelwelten, Universen, Dimensionen, unzähligen Lebensformen in
ihrer unendlichen Vielfalt, er sah die Vergangenheit, die Gegenwart und die
wenigen Ereignisse, die in der Zukunft fest geplant sind und Lethian erkannte:
„Es ist wenig, das da wirklich bedeutend ist. Bedeutend ist die Erkenntnis, daß
es Dich, mein Vater, gibt. Ich werde den Menschen die Erkenntnis zuteil werden
lassen.” (Jonai 2, 50-53)
Durch die Erlangung der Erkenntnis (Assal) wandelte Lethian sich wieder zu dem
friedlichen Menschen, der er in seiner Kindheit gewesen war.
Er erkannte:
„Viele Menschen sind Mabed, wenn überhaupt, erst nach ihrem Tode nahe. Wenn nun
alle Menschen die Erkenntnis erlangen und Mabed schauen, wird sich in der Welt
ein ewiges Zeitalter des Friedens ausbreiten.” (Jonai 2, 91-92)
Nachdem Lethian die Erkenntnis erlangt hatte, erwachte er, sah die Leiche Jonais
vor sich und erweckte ihn wieder zum Leben.
Jonai verzieh Lethian seine Tat und wurde sein heimlicher Verbündeter und
treuer Freund. Mit der Hilfe Matais und Jowanas, zu denen Lethian im Traum
gesprochen hatte, gelang Lethian, Seon und Jonai die Flucht aus den Minen.
Lethian erzählte ihnen von Mabed und der Erkenntnis, die vorerst aber nur
Jowana und Seon zuteil wurde. Matais und Jonai folgten ihnen, da sie hofften,
auf diesem Wege ebenfalls zur Erkenntnis gelangen zu können. Die fünf flohen
nach Kathal, wo sie sich in Maarlen niederließen. Unterwegs schlossen sich noch
die beiden entlaufenen Sklaven Anran und Batalan der Gruppe an. Batalan
heiratete später Jowana. Von Jonai stammt der zweite Teil der Biographie
Lethians im Narmai.
Lethian und die Jünger in Maarlen
In Maarlen lebte die Gemeinschaft in ärmlichsten Verhältnissen im Maarlener
Hafenviertel. Sie arbeiteten hart, bis sie einen kleinen Laden eröffnen konnten.
Lethian rettete das Mädchen Pasia vor einem Schicksal als Hafenhure; die beiden
verliebten sich ineinander und heirateten. Währenddessen predigten Lethian und
seine Jünger den Leuten von Mabed und dem Zeitalter des Friedens, das
hereinbrechen sollte, wenn alle Menschen die Erkenntnis erlangen.
Die Gruppe arbeitete weiter fleißig, das Geschäft gedieh und man konnte sich
ein Schiff leisten, mit dem man auf Handelsreisen ging und auch den Leuten in
fernen Ländern von Mabed erzählte. Zur Jüngerschar stieß noch die reiche
Händlerstochter Tarmaina, die Seons Frau wurde.
Natürlich blieb Lethians Tätigkeit nicht ohne Gegenspieler. Die Maarlener
Ceweinpriester mißbilligten Lethians Verneinen der Existenz vieler Götter und
hetzten den Pöbel gegen Lethian auf. Als Lethian einmal mit seinen Gefährten
von einer Reise zurückkehrte, fand er sein Haus in Schutt und Asche gelegt vor.
Die Priester hatten das „Ketzerhaus“ zur Plünderung freigegeben. Zum Glück
konnte Pasia sich rechtzeitig verstecken und blieb unbehelligt. Lethian fand
sie in Lumpen gehüllt und abgemagert im Maarlener Hafenviertel wieder.
Lethian war in seiner Abwesenheit als Ketzer verurteilt worden und wäre getötet
worden, hätte er nicht rechtzeitig mit seinem Schiff (sein einziger ihm
verbliebener Besitz) und seinen Gefährten fliehen können. Jedoch hegte er
keinen Groll gegen die, die ihn vertrieben hatten:
“Verflucht sie nicht; sie denken nicht. Auch die Sünder werden die Erkenntnis
erlangen, wenn mein Vater sich ihrer erbarmt.” (Jonai 6, 190)
Am Hofe des Fürsten Ascar von Olai
Lange Zeit fuhr die Gruppe ziellos an Espers Küsten umher. Auf den nördlichen
Inseln wurden sie abgewiesen. Als sie sich wieder südlich wandten, wurden sie
von Lomer Piraten geentert und als Sklaven an den Hof des wohlhabenden Lomer
Fürsten Ascar von Olai verkauft. Lethian gewann schnell das Vertrauen seines
Herrn und bekehrte ihn. Von Ascar stammt der dritte Teil der Biographie
Lethians. Der Hof des Ascar wurde sobald zu einer zentralen Stätte der
Mabedianer. Ascar regierte umsichtig und wohltätig. In seinem Fürstentum hatte
bald niemand mehr an Armut zu leiden. Lethian hielt eine Reihe Predigten und
tat sich als Heiler hervor, zu dem bald ganze Heerscharen Kranker pilgerten.
Lethian rettete den Piraten Jahor, der ihn zwei Jahre zuvor gefangengenommen
hatte, vor dem Tod durch Erhängen. Jahor stieß als zehnter Jünger Lethians zur
Gruppe. Während dieser Zeit gebar Pasia Lethian zwei Kinder.
Im Jahre 46 n.L. wurde das Land Lom von marodierenden Piratenhorden aus dem
Norden überrannt. Ascars Anwesen wurde völlig dem Erdboden gleichgemacht,
Lethians Kinder starben bei diesem Überfall. Er war nicht imstande, sie wieder
zurück ins Leben zu holen.
„Vater, warum Läßt Du das zu? Wie können zwei solch unschuldige Geschöpfe
einfach grundlos dahingemetzelt werden?“
Da sprach der Herr zu ihm: „Zürne Mir nicht mein Sohn. Alles geschieht so wie
es geschieht. Nur einmal habe Ich diese Regel für Dich, mein Sohn, gebrochen.
Du hast selbst einmal erkannt: ‚Nichts ist, das da wichtig ist, außer die
Erkenntnis zu schauen.’ Deshalb zürne nicht und höre auf zu zweifeln.”
(Ascar 10, 58-63)
Die Rebellen schwangen sich zu neuen Herrschern auf und Ascar wurde verbannt.
Er floh mit seinen Gefährten, Lethians Jüngern, nach Nebrinn, wo sie sich in
Paras niederließen. So landete Lethian also nach 20 Jahren wieder in seinem
Heimatland. Die Umstände zu dieser Zeit waren noch viel liederlicher und
lasterhafter als vor Lethians Verurteilung. Lethian begab sich direkt ins Herz
der Sünde, in den Moloch Paras.
In Paras
Hier trieb sich die Gruppe bei den Ärmsten der Armen, bei Krüppeln, Aussätzigen,
entlaufenen Sklaven, Meuchelmördern, Dieben und Wahnsinnigen in den verzweigten
Kanalsystemen der Katakomben herum. Hier schlossen sich die Brüder Palion und
Petion, zwei Gaukler, der Blinde Thadai und der verbannte Annarpriester Marond
(von dem der vierte Teil der Biographie Lethians stammt) der Gruppe an.
Jedoch gelang es ihnen nach einiger Zeit, wieder zu einigem Reichtum zu
gelangen. Auch mit seinem wiedererlangten Reichtum vergaß er nicht die armen
Bewohner der Katakomben und unterstützte sie, so gut er konnte.
Natürlich hielt Lethian auch hier viele Predigten, doch zu jener Zeit waren
viele sogenannte „Propheten” in den Straßen von Paras unterwegs, von denen
jeder einen anderen „Glauben” predigte. Lethian war der einzige, der von einem
kommenden Reich des Friedens, wenn sich die Erkenntnis unter den Menschen
ausbreite, sprach. Das Mabedianertum wurde daher schnell zur Religion der
Unterdrückten, denen Lethian, der es aus ihrer Mitte wieder zu Reichtum gebracht
hatte, als Lehrmeister galt, der seinen Wohlstand nur seinem Gott Mabed zu
verdanken hätte.
Lethian erwiderte darauf schmunzelnd:
„Das mag schon sein. Aber verlaßt euch dabei nicht auf irgendwelche Götter.
Gott hilft manchmal, Arbeit immer. Also, helft euch selbst, dann hilft euch
Gott.” (Marond 4, 61-63)
Nach dieser Philosophie arbeitete er wohl weiter, denn bald wurde er wieder
Schiffseigner und gründete sogar eine kleine Handelsflotte, die ihm wachsenden
Wohlstand sicherte. Auf diese Weise wurde die Botschaft des Mabedianertums bis
in weit entfernte Länder getragen.
Lethians Tod und Auferstehung
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Lethians Tod, Glasfenster in der Kathedrale Unserer Lieben Frau Ilaime zu Paras |
Der despotische Imperator Nabos und die ihn unterstützenden Priester der alten
Götter sahen ihren Einfluß auf das Volk immer mehr schwinden, weshalb sie
Lethian und seine Anhänger als Ketzer gefangennehmen ließen und zum Tode
verurteilten. Anran wurde bei seiner Verhaftung getötet. Die restlichen Jünger
Lethians widersetzten sich der Verhaftung nicht. Lethian sollte im Kollosseum
von Paras von wilden Bären zerfleischt werden, aber kein einziger Bär krümmte
ihm auch nur ein Haar. Lethian nutzte diese Gelegenheit, um eine Ansprache an
das Volk zu halten, in der er seinen Peinigern verzieh und an ihre Vernunft und
an den Frieden appellierte. Das gleiche Schauspiel spielte sich auch ab, als er
von Gladiatoren erstochen werden sollte, aber alle Waffen wie durch ein Wunder
abbrachen, oder als er erschossen werden sollte und kein Pfeil ihn traf. Die
meisten seiner Henker sahen diese Vorfälle zu Recht als göttliches Zeichen an
und verweigerten schließlich den Gehorsam. Am Schluß banden Nabos und der
oberste Annarpriester Phakith Lethian eigenhändig an den Mast seines Schiffes,
übergossen ihn und das Deck des Schiffes mit Öl und zündeten es an. Das Schiff
wurde losgetäut und trieb auf das Meer. Währenddessen verdunkelte sich der
Himmel schlagartig und ein mächtiger Sturm kam auf. In dem Moment, in dem die
Flammen den am Mast festgebundenen Lethian erreichten und dieser verbrennen
sollte, verschwand er in einer Rauchwolke, aus der ein weißer Luscin herausflog
und gen Himmel entschwand. Ein mächtiger Blitz zuckte vom Himmel herab und ein
Gesteinsbrocken, der einen glühenden Feuerschweif hinter sich herzog, legte den
Annartempel in Schutt und Asche.
Damit hatte Mabed auf unübersehbare Weise sein Mißfallen kundgetan. Das Volk
lynchte Phakith gleich vor Ort. Nabos konnte sich vorerst in Sicherheit bringen.
Sogleich machten sich einige Fischer auf, das Schiff zu löschen und Lethian
vielleicht noch zu retten, aber Lethians Körper war auf wundersame Weise von
diesem Schiff verschwunden. Es war der 4. Olvare 58 n.L.
Drei Tage nach seinem Tod erschien Pasia ein Luscin, der mit der Stimme ihres
Mannes zu ihr sprach:
„Mein Geliebtes Weib, weine nicht um mich. Nur mein Körper hat euch verlassen.
Lethians Seele, die die Erkenntnis erlangt hat, ist Teil der Ewigkeit geworden.
Eines Tages werdet ihr euch wiedersehen, so wie alle Seelen einmal die
Erkenntnis erlangen werden. Lethians Körper hat sich geopfert, damit alle Welt
sieht, wie unsinnig die Handlungen jener Despoten waren und für eine bessere
friedliche Welt kämpft.
Gehet nun hin in alle Welt und verkündet den Menschen die Botschaft von Mabed,
auf daß ihre Seelen die Erkenntnis erlangen und gerettet werden.”
(Marond 16, 51-55)
Nabos versuchte noch zwei Monate lang, seine Position zu halten und die
Anhänger Lethians, die immer zahlreicher wurden, zu beseitigen. Hunderte wurden
in den Arenen ermordet, was natürlich nicht sehr dazu beitrug, Nabos’
Beliebtheit beim Volk zu steigern. Am 15. Inanna 58 stürmte das Volk den Palast
und ermordete den Despoten. Die zweite Republik wurde ausgerufen.
Die Verbreitung des Mabedianertums
In den folgenden 40 Jahren verbreitete sich das Mabedianertum immer mehr in
Nebrinn, Kathal und Lom. Die alten Götter wurden als Verkörperungen bestimmter
Wesenszüge Mabeds immer noch in Ehren gehalten. Sie sind nicht nur noch in
volkstümlichen Sagen und Legenden und natürlich in den Namen der Monate präsent,
sondern sie manifestieren sich mitunter noch als voneinander getrennte
Gottheiten.
Seon wurde der erste Kano. Er baute die mabedianische Kirche auf, bis sie die
heutige Macht und Bedeutung an Espers Ostküste erlangte. Er starb 110 n.L. als
hochverehrter Mann im Alter von 107 Jahren.
Die Verbreitung der Lehren des Mabedianertums hatte sehr positive Folgen für das
Zusammenleben der Menschen. Die folgenden 300 Jahre wurden „Ära des Friedens”
genannt.
Diese Phase wurde durch den dritten Zhubairkrieg (348-360) jäh beendet.
Lethians Jünger bereisten den Kontinent und brachten die Botschaft Mabeds in
entfernte Länder. Heute sind die gesamte Bevölkerung Nebrinns und Kathals,
sowie weite Teile Loms mabedianisch. Mabedianische Gemeinden gibt es in
Nen’ya, Palanth, Tanakré, dem Sieben-Städte-Bund, Garcal-kôr und Kalen, so daß die Anhängerschar des Mabedianertums
heute ungefähr 8 Millionen Gläubige umfaßt.
(me)
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