Piraten
Es gibt nur wenige – aber schwerwiegende – Gründe,
die einen jungen Abenteurer zum Piraten werden lassen: Der wichtigste Auslöser ist sicherlich die Armut, die junge
Burschen dazu verleitet, sich diesem gewinnträchtigen Gewerbe anzuschließen. Angespornt von den kursierenden
Geschichten um ein freies Leben mit aufregenden Abenteuern, heroischen Kämpfen und reichen Schätzen schließen sie
sich doch lieber diesem Leben an, als ein elendes Dasein als unterdrückter Knecht oder Soldat, abhängig von einem
Geldgeber zu führen.
Doch das wahre Piratenleben zeigt sich stets anders. Das Leben voller Abenteuer entpuppt sich als Leben voller
Gefahren. Immer muß man um sein Leben fürchten, und das nicht nur im Kampf. Ein Menschenleben zählt bei diesem
Menschenschlag wenig und vor allem Neulinge werden gedemütigt und unterdrückt, so daß nur die härtesten und zähesten
dieses Leben mehrere Jahre lang überstehen und gar in der Hierarchie aufsteigen. Reich werden bei diesem Job nur die
allerwenigsten und noch weniger können ihren Reichtum auch genießen.
Die übliche Piratenmannschaft besteht vorwiegend aus unerfahrenen Leuten, die kaum Ahnung vom Kampf, geschweige
denn von der Seefahrt haben. Piraten gelten als Gesetzlose und auf Piraterie steht die Todesstrafe. Aber unter
Piraten gelten eherne Gesetze, was den Gehorsam dem Kapitän gegenüber, die Teilung der Beute und die Ausrichtung
von Streitigkeiten betrifft. Der Ton an Bord eines Piratenschiffes ist oft noch viel rüder als bei der rechtmäßigen
Seefahrt der Fall. Bestrafungen sind meist brutal und endgültig.
Die Hauptbeute von Piraten sind entgegen dem allgemeinen Klischee nicht Handelsschiffe, sondern Siedlungen an Land,
vor allem kleine Fischerdörfer, die etwa jährlich auf einer bestimmten Route immer von der selben Piratenmeute
geplündert werden. Die relativ leicht zu machende Beute in Form von Getreide, Wein, Vieh, und Sklaven ist beliebter
als schwer bewachte Schätze an Bord großer Schiffe. Zum Angriff auf Schiffe bedarf es schon einiger kostspieligen
Ausrüstung und einer erprobten Mannschaft, über die nur die wenigsten verfügen und da erscheint die vergleichsweise
gefahrlose Plünderung kleiner Dörfer doch als die bessere Alternative, wenn sie auch weniger einbringt.
Jene Piraten, welche die Gewässer befahren, wobei oft jede Piratengruppe ein eigenes Revier beherrscht, sind am
regen Handelsverkehr in ihrem Gebiet interessiert. Sollten Berichte von blutrünstigen Räubern die Runde machen,
wird die Strecke wohl weniger befahren und man hat womöglich die gesamte Kriegsmarine des Feindes am Hals. Aus
diesem Grund beschränkt sich ihr Handwerk größtenteils auf die Eintreibung von Schutzgeldern von den durchreisenden
Händlern.
Natürlich gilt dies nicht für die Sklavenjäger der südlichen Meere, deren wertvollste Beute die Besatzung des
Feindes darstellt, obwohl auch diese Piraten nur selten einmal Schiffe angreifen, da auch hier das eigene Risiko
viel zu hoch ist.
Besonders piratenverseuchte Gewässer sind die Akalsee, die Ostküste der Halbinsel Al-Cadja, der Golf von Gal, die
Nordspitze Loms und die Inseln Nen’yas an der esperischen Ostküste, sowie das Mannànmeer, die Straße von Relis, die
zerklüftete und buchtenreiche Küste Marhalstans und das gesamte Kalenachdelta an der Südküste und das Tlitlatlische
Meer und das Vierremeer an der Westküste. Auf dem offenen Meer ist man vor Piraten ziemlich sicher.
Pirat ist nicht gleich Pirat
Obwohl sich ihre Opfer in diesem Punkt ziemlich einig sind, so wird sich nicht jeder Pirat als gesetzlosen Abschaum
bezeichnen lassen, gibt es unter den Piraten doch Gesindel und „edle Leute”, die ein hehres Ziel verfolgen.
Da gibt es zunächst einmal die Strandpiraten, das ehrloseste Pack unter den Piraten, die nicht einmal eigene
Schiffe besitzen und die fremde Schiffe durch das Setzen falscher Leuchtzeichen auf Grund laufen lassen und sich
dann am aufkommenden Treibgut bereichern. Besonders gut ausgerüstete Strandpiraten bekämpfen die gestrandeten
Schiffe noch mit an Land stationierten Katapulten. Man kann davon ausgehen, daß fast jedes arme Fischerdorf an
einer zerklüfteten oder untiefenreichen Küste Strandpiraterie betreibt.
Weiterhin gibt es jene gesetzlosen Räuberbanden zur See, die ihre Beute vor allem aus Plünderungen armer
Küstensiedlungen beziehen. Diese Seeräuber sind in der Regel nicht besonders gut ausgerüstet oder besonders
kampfeserfahren, aber um ein paar Fischer tüchtig zu verschrecken, dazu reicht es gerade noch.
Auf der nächsten Stufe finden sich die Freibeuter; diese sind schon erfahrener und besser ausgerüstet. Im
Allgemeinen betreiben sie ihr Gewerbe in einem Verband vieler Schiffe. Sie sind es, die sich an den häufig
befahrenen Schiffsrouten herumtreiben und Schutzgelder von den durchreisenden Händlern erpressen. Nur selten einmal
lassen sie sich auf einen Kampf ein.
Schließlich gibt es noch die Kaperfahrer, die vermeintlich „edelsten” unter den Piraten, die in ihrer Heimat
unter Umständen fast schon den Ruf von Volkshelden genießen. Sie verfügen über einen Kaperbrief, der sie berechtigt,
Schiffe einer bestimmten Nation angreifen zu dürfen. Im Gegenzug wird ihnen im Heimatland ein immer sicherer Hafen
garantiert. Kaperfahrer sind also im Grunde nichts anderes als ein halblegaler Arm der Kriegsmarine, der dem Feind
auch noch Schaden zufügen kann, wenn man sich offiziell im Frieden befindet. Denn keine Regierung würde es zugeben,
sich solch verabscheuungswürdiger Mittel zu bedienen...
Kaperfahrer sind die edelsten unter den Piraten, da sie sich dem Dienst am Vaterlande verschrieben haben und nicht
nur aus purem Eigennutz handeln.
Berechtigt, einen Kaperbrief auszustellen sind alle Fürsten und hohen Staatsbeamten, man kann sich auch als
Privatmann das Recht erwerben, Kaperbriefe ausstellen zu dürfen. Als Preis hierfür wird ein bestimmter Prozentsatz
der jährlichen Beute festgesetzt.
(me)
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