Lun Sua, Herr von Wasser und Wetter
Auf die Hilfe keines der Göttlichen hoffen die Menschen so sehr wie auf die des Lun Sua. In Shya Dai Nim, dem allzu
trockenen Herzen der Welt, ist kaum etwas kostbarer als Wasser und nichts flüchtiger. Und dementsprechend ist der
Lun Sua, für die Augen der Menschen wenn er in seinen Launen erscheint ein lebender Fluss, der mal schlangengleich über
den Boden peitscht und sich mal mit dröhnendem Gelächter in den Himmel erhebt, ist von den Göttlichen der am wenigsten
Berechenbare.
Sein Körper, scheinbar aus Wasser, wandelt sich immerzu und das breite Lachen seiner Schnauze zeigt mal Freude, mal Zorn,
mal beinahe Wahnsinn. Anders als der Ordnung liebende Lun Hin bringt er Chaos, wo immer er hin geht – aber nur soweit,
wie er die Welt nicht gefährdet. Er ist pure Lebenskraft und zugleich Gefahr, Wasser, das einmal das Leben retten und in
der nächsten Sekunde ertränken kann.
Angeblich soll er derjenige der Göttlichen sein, der am liebsten in Menschengestalt Unruhe stiftet oder sich selber als
Li Jeng tarnt, um die Sterblichen zu betrachten und zum Narren zu halten. Und ebenso schnell wie er einem Gestrauchelten
aufhilft, stürzt er einen anderen ins Unglück mit seinen Wetten und Herausforderungen und Rätseln.
Dennoch können weder Lun Hin noch Lun Dam ihr Werk ohne den Unsteten verrichten – denn er verwaltet die Wasserseelen,
die Lebenskraft, die allen Wesen Atem und Wärme verleiht. Ohne sie blieben alle Schöpfungen des Lun Dam leblos und die
Himmelsseelen des Lun Hin kalt und tot.
Immerzu hoffen die Menschen, dass der launische Drache Wasser schickt – aber davon nicht zuviel. Dass er die Lebenskraft
eines Menschen nicht zum Spaß einfach eines Tages zurückfordert. Und dass er – kriegerischster der Drachen – die
Schrecken jenseits der Höllenpforten vom Angesicht der Erde fernhält.
Tatsächlich setzen hier die Menschen ihr Vertrauen nicht in den weit entfernten, alles sehenden Lun Hin und auch nicht
in den eigentlichen Wächter der Hölle, den Lun Dam, sondern in den mal schlafenden, mal tobenden Lun Sua und seine
Diener, die ähnlich launisch und unvorhersehbar handeln wie ihr Herr.
Und tatsächlich – selbst wenn sie ansonsten gerne ihre Spiele mit den Menschen treiben, so sind es doch meistens die
Li Jeng des Lun Sua, die die schlimmsten Katastrophen bekämpfen und die Gegner Shya Dai Nims verfolgen.
Menschliche Erscheinungsform
Der Lun Sua tritt auch in zahlreichen Bühnenstücken auf und nicht nur in Märchen – er wird als hochgewachsener junger
Krieger in blauen Gewändern dargestellt, die Haare mit perlenverzierten Nadeln hochgesteckt und mit einem Schwert und
einer Peitsche bewaffnet. Schauspieler, die die begehrte Rolle des Lun Sua darstellen, malen sich für gewähnlich ein
fast wahnsinniges Grinsen und zugleich Zornesfalten ins Gesicht und ein tiefes, kehliges Lachen ist eine Voraussetzung
für die Darstellung, sucht der Lun Sua doch nach Unterhaltung in der Welt. Er legt es darauf, an, Unordnung in die Welt
zu bringen und zu sehen, wie die Menschen damit umgehen.
Wer draufgängerisch, wagemutig und wenige dem Beständigen verhaftet ist, findet den Gefallen des Lun Sua. Er soll
zahlreiche große Kriegshelden zu den unsinnigsten Wettbewerben herausgefordert haben, so erzählt man sich bei den
You Teng, dass er einst den jungen General Gan Mai-Pjau zu einem Kodlu-Rennen forderte. Es hieß, dass beide mit jeweils
ihrem Reittier am Ziel eintreffen müssten. Als Gans Kodlu zusammenbrach, soll er mit seinen übermenschlichen Kräften
kurzerhand den Vogel das letzte Stück getragen haben.
Amüsiert soll der Lun Sua sich lachend zu erkennen gegeben und aufgestampft haben – wo sein Fuß den Boden spaltete,
entsprang eine neue Quelle. Heute noch nennt sich die östlich von Nam Dsü gelegene kleine Oasenstadt, in der die
Geschichte ihren Ursprung haben soll, Sua Gjat – Suas Fußabdruck.
Das Amt des Wetters
Lun Sua ist der Drache des Wassers und steht dem Amt des Wetters vor, das sich in das Amt von Blitz und Donner
und das Amt des Regens teilt.
Das Amt von Blitz und Donner
Im Amt von Blitz und Donner, das alle Wettererscheinung außer dem Regen verwaltet, befinden sich der Magistrat der
Wolken, der Magistrat des Sturms, der Magistrat der Blitze und der Magistrat des Donners.
Der Magistrat der Wolken, der diese aus einer großen Flasche hervorzieht, verteilt Wolken aller Art, feine
Schleier, um die grelle Sonne etwas zu schwächen bis hin zu den seltenen großen Wolkentürmen, aus denen sich kostbares
Wasser auf das trockene Herz der Welt ergießen kann.
Der Magistrat des Sturms, der die Luft mit einem verzierten Stab aufwirbelt und bei jeder Darstellung ein
wahnsinniges Lachen im Gesicht trägt, verwaltet die Winde und ist gefürchtet als Rächer von Vergehen, wenn er
Staubstürme über das Land treibt.
Der Magistrat der Blitze trägt ein Bündel Zweige bei sich. Zerbricht er sie, werden sie zu Blitzen und fahren
brennend zur Erde nieder. Er lässt Blitze niedergehen, in denen viele Strömungen von Mystikern Botschaften zu lesen
glauben. Ein Blitzeinschlag in einem Haus gilt als Zeichen, dass die Bewohner gegen die Drachen gefrevelt haben.
Der Magistrat des Donners trägt bei sich eine Peitsche. Wenn er sie knallen lässt, rollt Donnergrollen über das
Land. Er bringt Furcht vor den Göttern zu den Menschen und gilt als strenger Mahner an die Herrschaft der Drachen und
gemahnt zur Einhaltung der vorgesehenen Ordnung und peitscht aufsässige Höllenwesen wieder hinab unter die Erde.
Das Amt des Regens
Dem Amt des Regens sind der Magistrat des Regens, der Magistrat der Flüsse und der Magistrat der Quellen zugeordnet.
Der Magistrat des Regens trägt ein Bündel in Wasser getauchter Seidenfasern in seiner Hand und wringt sie aus,
sodass das Wasser zur Erde hinabfällt. Er gilt als Freund der Menschen, aber er muss striktestens nach den Vorgaben des
Lun Sua handeln und darf auch aus Mitleid nicht mehr Wasser senden, damit es keine plötzlichen Überflutungen gibt. Er
ist einer der am meisten verehrten und um Hilfe gebetenen Magistrate überhaupt im trockenen Shya Dai Nim. Er schickt
ebenfalls die Li Jeng des Lun Sua zu den Menschen.
Der Magistrat der Flüsse steht auf einem riesigen Blatt des Kaiserbaums, das er wie ein Schiff nutzt. Er ordnet
die Flüsse und ihren Lauf und lenkt das vom Magistrat des Regens gesendete Wasser dorthin, wo der Lun Sua es geleitet
haben will.
Der Magistrat der Quellen verwaltet das Wasser, das sich unter der Erde verbirgt, aber auch die Wasserseelen der
Menschen. Zu ihm kehrt alles versickerte Wasser zurück wie auch die Wasserseelen Verstorbener und beides sammelt er, um
es dann zum richtigen Zeitpunkt und am richtigen Ort wieder hervortreten zu lassen – als Quelle und als neue Wasserseele
eines neuen Menschen.
(ms)
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