Regierungssystem
Die Räte der sieben großen Städte fungieren gewissermaßen als „Bezirksregierung“, befassen sich aber wirklich nur mit
überregionalen Belangen und mischen sich tunlichst nicht in die Angelegenheiten der kleineren Städtchen und Dörfer ein.
Das sogenannte Gormach ist das Parlament des Städtebundes. Da keine der sieben Städte den anderen übergeordnet sein soll, hat
der Bund keine Hauptstadt, keinen festen Regierungssitz. Das Gormach tagt auf einem Schiff, das unentwegt zwischen den Städten
hin und her fährt und dabei von einer Vielzahl anderer Boote begleitet wird, auf denen Archive, Schreibstuben und andere
Verwaltungseinrichtungen untergebracht sind. Da sich die Schiffe lediglich auf flachen Flussarmen bewegen, besteht kaum die Gefahr
des Kenterns. Das Risiko für die Verwaltungspapiere und Unterlagen, verloren zu gehen oder beschädigt zu werden, ist nicht höher als
wenn sie in einem Gebäude gelagert würden, das jederzeit in Flammen aufgehen oder bei Hochwasser überflutet werden könnte.
Für je etwa 2.500 Einwohner
entsenden die Bundgenosen einen Abgeordneten ins Gormach. Entsprechend der Einwohnerzahl haben die einzelnen Städte
unterschiedlich viele Sitze im Gormach. So stellt Rhinze als größte Fraktion 56 Abgeordnete, während Kreszent nur 22 Vertreter ins
Parlament entsenden kann.
Wahlberechtigt bei den Abstimmungen ist jeder einzelne Bundgenosse, ungeachtet seines Alters. Für Kleinkinder und Säuglinge stimmen
stellvertretend ihre jeweiligen Gildenvormunde ab.
Was übrigens die beschworene Gleichheit aller Bundgenossen „ungeachtet der Rasse“ betrifft, so gilt dies vorbehaltlos für Menschen
und Čén, mit gewissen Abstrichen für die wenigen im Kâlch ansässigen Norren, jedoch in der Praxis kaum für die
Tekumir-Bevölkerung. Zwar sind sie nominell als Bundgenossen gleichgestellt, haben jedoch unter ständiger Ablehnung und Misstrauen
zu leiden. Sie sind nirgendwo gern gesehen und werden im besten Falle einfach ignoriert, oft in ihre eigenen Elendsviertel
abgedrängt und aus der öffentlichen Wahrnehmung nahezu ausgeblendet. Es herrscht die einhellige Meinung vor, dass sie sich ohnehin
gar nicht integrieren wollen. Vor allem bei Wahlen wird vorausgesetzt, dass die Tekumir von ihrem Stimmrecht keinen Gebrauch machen
wollen. Ein jeder von ihnen ist zwar nominell wahlberechtigt, doch wird ihnen die Stimmenabgabe fast überall verweigert, sollten sie
sich tatsächlich einmal darum bemühen, was so gut wie nie vorkommt.
Das Gormach ist vor allem für die Streitkräfte und die Beziehungen zu ausländischen Regierungen zuständig. Es ist die höchste
Instanz der Justiz für Streitfälle und legt einheitliche Maßeinheiten und Währungen fest, die im gesamten Delta ihre Gültigkeit
haben.
Die unterschiedlichen im Gormach vertretenen Gruppierungen sind überaus vielfältig und klare eindeutige Fronten und
Zuordnungen lassen sich nur selten mit Sicherheit definieren. Nicht nur die einzelnen Städte sondern vor allem auch die Gilden, und
innerhalb der Gilden die Verbände der unterschiedlichen Städte, und dort wieder einzelne Gruppierungen um geachtete einflussreiche
Personen kontollieren einander höchst misstrauisch. Es soll sich schließlich niemand auf Kosten Anderer bereichern, und trotzdem
sollen natürlich die eigenen Interessen und Vorteile unangetastet bleiben. In diesem Klima der Kontrolle und Gegenkontrolle, der
undurchsichtigen Verflechtungen und heimlicher Bündnisse, der versteckten Schlupflöcher und Kompromisse ist es schier unmöglich, den
Überblick zu behalten. Ebenso unmöglich ist es aber wohl auch, unbemerkt mit irgendeiner Gaunerei davonzukommen. Persönliche
Vorteilsnahme und Bereicherung blieben niemals unentdeckt und ungeahndet. Hier ist sich niemand selbst der Nächste sondern jeder
arbeitet für die Gemeinschaft – wobei mit „Gemeinschaft“ ein mehr oder weniger klar umrissenes soziales Umfeld gemeint ist. Also
arbeitet ein jeder für das Wohlergehen seiner Freunde und Nahestehenden.
Rechtssystem
Für Recht und Ordnung sorgen städtische Büttel und Wächter, die von öffentlichen Steuern finanziert werden. Die Aufklärung von
Verbrechen nehmen zunächst die jeweiligen Gilden in die Hand, die bemüht sind, solcherlei unerfreuliche Dinge unter sich zu regeln,
ohne dass ich jemand von Außen in ihre Angelegenheiten mischt. Dies hat zur Folge, dass man kaum einmal etwas von irgendwelchen
geschehenen Verbrechen mitbekommt, denn es bleibt ja alles „in der Familie“.
Die städtischen Büttel sind vorrangig mit der Aufklärung schwerer Straftaten wie Mord, Entführung, Schändung und Körperverletzung
beschäftigt. Weitaus mehr beschäftigt ist die Zollpolizei, die in den Häfen und auf den Märkten die Einhaltung der Handelsbestimmungen
und der geeichten Maßeinheiten überwacht, sowie Jagd auf Schmuggler aller Art machen.
Verbrechen wie Raub und Diebstahl sind äußerst selten im Städtebund, denn kaum jemand hat es nötig, zu stehlen, wo doch sämtliche
Gildenmitglieder mit allem versorgt sind, was sie benötigen. Wer dabei erwischt wird, sich unerlaubt an den gemeinschaftlichen
Besitztümern der Gilde vergriffen zu haben, wird meist mit zusätzlichem Arbeitsdienst und zeitweiliger Kürzung seiner Rationen bestraft.
Was hingegen recht häufig vorkommt, sind Konflikte zwischen den Gilden: Streit um Kompetenzen und Zuständigkeiten, Schlägereien und gar
Überfälle und Diebstähle, bei denen Vorrats- und Schatzkammern fremder Gilden geplündert werden. Vor allem die recht unbedeutende Gilde
der Künstler gerät immer wieder in den Verdacht, ihr Vermögen auf diese Art und Weise aufzubessern. Nur höchst selten einmal gelangt die
Nachricht von solcherlei Diebstählen an die Öffentlichkeit, denn schließlich will sich keine Gilde die Blöße geben, nach außen hin
zuzugeben, düpiert worden zu sein. Und so werden solche Angelegenheiten auch wieder gildenintern geregelt. So können sich stellenweise
tief verwurzelte lokale Feindschaften zwischen zwei Gilden aufschaukeln, die aber oftmals durch die Vereinbarung gewisser
„Entschädigungszahlungen“ beigelegt werden, bevor sie eskalieren.
So ist die Zahlung von Entschädigungen generell ein gängiges Mittel der Rechtsprechung, um Strafen auszusprechen. In der Regel wird eine
solche Zahlung von der Gilde des Delinquenten geleistet, und vor dem Gesetz ist dem Recht so genüge getan. Die weitaus schlimmere Strafe
kann ihn dann erwarten, wenn er innerhalb seiner Gilde für sein Verbrechen zur Verantwortung gezogen wird...
Bei zivilen Streitigkeiten zwischen Gilden wird ein neutrales Schiedgericht einberufen, dessen Mitglieder aus anderen, unbeteiligten
Gilden stammen. In der Verhandlung wird jede Seite angehört und die Indizien bewertet. Dann verkündet das Gremium ein bindendes Urteil
vor den Streitparteien. Erkennt eine Seite das Urteil nicht an, wird der Fall vor einer höheren Instanz behandelt, dem Stadtrat oder gar
dem Gormach vorgelegt.
(dr, me)
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